Ich bin gerade vom Training heimgekommen als ich beginne diese Zeilen zu schreiben. Soweit alles beim Alten und doch könnten die Umstände nicht anders sein. Im Moment in dem ihr diese Zeilen lest bin ich offiziell kein Leistungssportler mehr. Das Kapitel Leistungssport endet, das in den ersten 24 Jahren mein Lebensmittelpunkt war.
Vor genau einem Monat habe ich den DLV informiert, dass ich meine Karriere beende. Der Hauptgrund ist natürlich meine Verletzungsmisere, wegen der ich seit 2 Jahren nur noch unter Schmerzen oder gar nicht trainieren konnte. Dieser Post soll aber kein stupides Herunterbeten meiner Doktorbesuche und Rehastunden mit tragischem Ende werden. Ich habe viele wertvolle Lektionen gelernt und tolle Erfahrungen gesammelt, die ich gerne teilen will. Genauso soll er aber auch ein Stück Realität sein, in einer Welt, in der höher, schneller, weiter das einzige Gesetz ist. Er soll ehrlich sein und ungeschönt, mit allen Höhen und Tiefen des Leistungssports.
Nach dem super Jahr 2013 und dem Comeback 2014 wurde die Saison 2015 mit Verletzungen und Pfeifferischem Drüsenfieber zur harten Landung. Die Sporthilfe wurde gestrichen und damit auch die Studiumsunterstützung. Der Erfolg hat viele Väter, die Niederlage ist ein Waisenkind. Außerdem wusste ich, das ich im College Zeitplan nicht genug Zeit hätte, meine Verletzungen auszukurieren. Deshalb habe ich den Platz im Uni-Team aufgegeben, was natürlich zur Folge hatte, dass ich die Studiengebühren komplett selbst bezahlen musste. Ich habe alles auf eine Karte gesetzt, um die besten Chancen auf Rio zu haben. Dennoch war von Anfang an klar, dass es ein langer Weg wird.
Ende August fühlte ich mich körperlich wieder gut und war überzeugt, dass ich die Krankheit auskuriert hatte. Mit dem Adduktor hatte ich bis November zu kämpfen. Aber das Knie wurde einfach nicht besser. Es folgten weitere MRTs und Arztbesuche. Schließlich eine Athroskopie im November, die jedoch auch nicht den gewünschten Erfolg brachte. Dann auch noch Kortison-Spritzen im Januar und Februar, auch die verpufften wirkungslos. Knochen ok, Knorpel ok, Sehnen ok, Bänder ok, Menisken ok und die gesamte Palette der Medizin ausgeschöpft. Die Schmerzen aber blieben und mit ihr die Ratlosigkeit. Ich hätte mir öfter einen Kreuzbandriss gewünscht, da hätte ich wenigstens gewusst wie lange es dauert. Im März bestand mein Training nur noch aus Schwimmen und Radfahren und als dann irgendwann selbst die Wenden beim Schwimmen Schmerzen verursacht haben, habe ich die Reißleine gezogen.
Wer Leistungssport betreibt lebt in einer Blase. So viele Entscheidungen erscheinen selbstverständlich. Die wahre Tragweite und Konsequenzen holen viele erst später ein. Ich war ein Musterschüler der dualen Karriere. Bachelor und Master in Regelstudienzeit neben dem Sport. In meiner Vorstellung habe ich mich bis 2020 ganz auf den Sport konzentriert und wäre dann nach Ende meiner Karriere in den Beruf eingestiegen. Wie naiv diese Einstellung war, wurde mir erst bewusst als ich in meinem Master intensiv mit Nichtsportlern in Kontakt kam. Denn die Welt bleibt nicht stehen und während man seine sportlichen Ziele verfolgt. Viele Recruiter und Führungskräfte respektieren Leistungssport und Charakterzüge wie Ehrgeiz und Durchhaltevermögen, aber fehlende Berufserfahrung wird mit zunehmendem Alter mehr und mehr zum Problem.
Eigentlich sollte gerade uns im Sport das nicht überraschen. Auch wir wählen Trainer in erster Linie aufgrund ihrer eigenen sportlichen Erfolge und fachlichen Fähigkeiten aus und erst dann auf Grundlage ihrer menschlichen und pädagogischen Fähigkeiten. Mit jedem Jahr jenseits der 20 beginnt der Rest praktische Erfahrung zu sammeln und im Extremfall hast du als 30 Jähriger ehemaliger Leistungssportler den Wissenstand eines Praktikanten. Die Ausnahme sind natürlich Berufe, die direkt mit dem Sport in Verbindung stehen: Trainer und Physios. Stellen von denen es wenig gibt und die nicht gerade gut bezahlt sind. Für alle anderen wird die Luft jenseits der 25 dünner und dünner. Leistungssportler haben durchaus die Qualitäten von guten Führungskräften, aber Berufserfahrung ist für diese Positionen schlichtweg unabdingbar. Genau wie selbst das größte Talent im Sport ohne Training nie zu Olympia fährt.
Langsam reifte die Erkenntnis in mir, dass keine Punktzahl und keine Medaille dieses Problem lösen würde. Mit oder ohne Olympiagold, die Lücke beim Bewerbungsgespräch ist praktische Erfahrung, nicht Charakterstärke. Mir wurde klar, dass selbst ein Best Case Scenario mit schneller Regeneration und Olympia 2020 das Thema nur nach hinten schiebt und verschlimmert. Es stehen die nächsten 40 Jahre auf dem Spiel, nicht nur die nächsten 4. Beim Gedanken als 30-jähriger Berufseinsteiger von einem 25-jährigen Anweisungen zu bekommen und sich vielleicht noch vom 18-jährigen Praktikanten Begriffe und Programme erklären lassen zu müssen dreht sich mir der Magen um. Klar hätte ich gern noch weiter Zehnkampf gemacht. Ich glaube nicht, dass 8293 alles waren. Aber mit Blick auf die Zukunft, ist es ein Luxus den ich mir nicht leisten kann. Weder finanziell noch mit Blick auf die verlorene Berufserfahrung.
Der Übergang ins Leben nach dem Leistungssport war sicherlich nicht ganz einfach. Weg ist der strukturierte Tagesablauf, auf einmal muss man Wochenenden planen, zum Sport treiben muss man sich jetzt Zeit schaffen. Man hat viel mehr Freiheiten, aber gleichzeitig wird die vorher so klare Welt ganz schön diffus. Es gibt keinen Trainingsplan, der sagt wie viele Wiederholungen, keinen Trainer der Disziplin und Hingabe einfordert und auch die Gespräche drehen sich nicht mehr um Periodisierung. Man sagt Leistungssportler sterben zweimal: Einmal wenn sie ihre Karriere beenden und wenn sie wirklich das Zeitliche segnen. Man muss sich ein Stück weit neu erfinden und den Leistungssportler hinter sich lassen. Das braucht Zeit und kann teilweise ganz schön frustrierend sein, denn man geht von absoluter anerkannter Experte in der alten Sportwelt zum absoluten Anfänger in der „echten“ Welt. Letztlich führt daran aber kein Weg vorbei und der einzige Weg das Hoch vergangener Tage wieder zu erleben ist einen neuen Bereich zu meisten.
Es war eine unvergleichliche Zeit. Rückblickend hätte ich auf dem Weg öfter mal stehen bleiben sollen und die Sicht genießen. Ich war immer so auf den Saisonhöhepunkt fokussiert, dass die ganzen Trainingsmonate fast an mir vorbei geflogen sind. Durch die Verletzungen habe ich gelernt, dass man weniger in der Hand hat als man glaubt. Der Weg ist tatsächlich das Ziel. Wenn ich eine Tartanbahn sehe kribbelt es immer noch und ich werde die Leichtathletik immer im Herzen tragen. Ich habe unglaublich viele interessante und beeindruckende Menschen kennen lern dürfen. Ich habe Erfolge gefeiert und mich wie der König der Welt gefühlt, ich habe Boden gelegen und gelitten wie ein Hund. Ich bedanke mich bei meinen Eltern und Geschwistern, die all das überhaupt erst mögliche gemacht haben, meinen Trainern, insbesondere Ottmar und Axel für all die Unterstützung, meinem Verein Leverkusen, die mir auf meinem etwas anderen Weg den Rücken freigehalten haben und allen die über die Jahre mitgefiert haben!
Und so bin ich am Ende vor allem dankbar für all die Emotionen und Momente, die viele in einem ganzen Leben nicht erleben dürfen und egal wie taff das echte Leben vielleicht ist, viel schlimmer als die 1500 nach 9 Disziplinen kanns nicht sein.
Euer Johannes