„Wunderheilung“ – Operationen und schnelle Comebacks im Leistungssport!

„Der Leistungssport fängt da an, wo er schon lange aufgehört hat gesund zu sein.“, heißt es. Wer die Grenzen der menschlichen Leistungsfähigkeit verschieben will, überschreitet sie auch mal. Es ist ein ständiger Tanz auf Messers Schneide: Das maximal Mögliche herauszuholen, ohne den Körper zu überfordern. Es ist wie in der Formel 1. Wenn man die schnellste Rundenzeit fahren will, muss die Drehzahl fast im roten Bereich sein, vielleicht sogar mal kurz darin, um die volle Power aus dem Boliden zu holen. Solange man nur kurz im Grenzbereich ist, hält sich der Schaden normal auch in Grenzen. Genauso ist es im Leistungssport: Muskelkater und Reizungen gehören einfach dazu. Doch genau wie beim Formel 1 Auto der Motor in die Luft fliegt, wenn die Drehzahl zu lange im roten Bereich ist, hält auch der Körper zu großen Belastungen nur eine gewisse Zeit stand. Die Folge sind Verletzungen, der Hassgegner jedes Leistungssportlers. Trotzdem sind sie ein bedeutender Teil des Leisungssports. Wie könnte man denn sonst die vierte Bundesliga Aktuell Sendung unter der Woche füllen, wenn man nicht über die zwickende Wade eine Ballkünstlers sinnieren könnte…

operation-grossBei schwereren oder wiederkehrenden Verletzungen muss der Betroffene dann immer häufiger „unters Messer“. Operationen werden immer alltäglicher und die Ärzte und Kliniken immer professioneller. Trotzdem ist es erstaunlich, wie schnell sich die Topathleten inzwischen von den Eingriffen erholen und wieder auf dem Platz stehen. Das beste Beispiel der jüngeren Vergangenheit ist Sami Khedira. Gerade mal 6 Monate nach seinem Kreuzbandriss stand der Nationalspieler bei der Weltmeisterschaft auf dem Platz als ob nichts gewesen wäre. Und das nach einer Verletzung die normalerweise mit 12-18 Monaten Regenerationszeit angegeben wird. Da kommt einem das Wort „Wunderheilung“ in den Sinn. Doch wie schaffen es Leistungssportler die Verletzungszeiten so zu verkürzen?

Dazu will ich euch heute mal ein paar Erklärungen geben. khediraVor einem Jahr, am 24.07.2013 hatte ich die zweifelhafte Ehre in den Club der medizinisch Optimierten einzutreten. Ich hatte mir beim Speerwerfen das Innenband des Ellenbogens gerissen und bekam nun bei der so genannten „Thommy John’s“ Operation eine Sehne aus dem Unterarm als Ersatz eingepflanzt. Die Verletzung ist unter Baseballspielern sehr verbreitet und daher haben wir sie bei einem amerikanischen Spezialisten durchführen lassen.

Damit wäre wir auch schon beim ersten Schritt zur Wunderheilung: Der richtige Arzt. Durch die Erfahrung eines Spezialisten kommt es zu weniger Fehlern und besseren Ergebnissen. Meine OP war beispielsweise die dritte dieser Art an dem Tag und es war gerade mal 10 Uhr morgens. Außerdem weiß ein Spezialist mit zig Tausend OPs im Rücken auch besser, welche kleinen Modifikationen für den Einzelnen von Vorteil sein können. Z.B. ob man die Ersatzsehne aus dem Arm oder dem Bein nimmt, und von welcher Seite. Hinzu kommt noch, dass die Medizin sich heutzutage rasant entwickelt und nur Spezialisten wirklich auf dem neuesten Stand sind. So kam mein Arzt beispielsweise mit einem halb so langen Schnitt aus wie noch vor drei bis vier Jahren üblich.

rehaDanach kommt der nächste wichtige Abschnitt: die Reha. Ich kann gar keine Beschreibung finden, wie sehr ich die Reha gehasst habe. Wer meine Hasshymne auf das Laufen gelesen hat weiß, wie sehr ich diesen Teil des Trainings verabscheue. Aber Reha ist nochmal auf einem ganz anderen Level. In der Reha fühlt man sich wie ein Bewegungslegastheniker, während man sich reinhaut wie Rocky in der letzten Runde. Der Fun-Faktor liegt irgendwo zwischen Steuererklärung und Zahnarzt. Wer das Gefühlt hat die Zeit vergeht wie im Flug, dem rate ich mal eine Stunde Reha zu machen: Zehn Sekunden waren noch nie so lange. Aber abgesehen davon, dass die Reha anstrengend, langweilig und nervtötend ist, stört vor allem ein Aspekt: All die Reha-Übungen dienen nur der Regeration und bringen nichts für die eigentliche Sportart. Reha ist wirklich das Letzte.

Dennoch ist die Reha entscheidend, wie lange die R20131002_011244_lindsey-vonn-rehabückkehr
 dauert. Während viele normale Patienten vielleicht zwei- bis dreimal pro Woche der unliebsamen Reha nachgehen, verbringt man als Leistungssportler ganze Tage in der Physiotherapie. Die ersten vier Monate nach meiner OP habe ich bis zu 4 Stunden am Tag Reha gemacht. In der Reha gibt es eine gewissen Anzahl, wie oft man die Übungen eines gewissen Levels absolviert haben muss, bevor man das nächste Level in Angriff nehmen darf. Ob man dazu zwei oder vier Wochen braucht ist relativ egal. Natürlich gibt es Grenzen, wie extrem man Reha-Programme komprimieren kann, aber die allgemeine Prognose des Arztes ist meist ein relativ entspannter Zeitplan. Dementsprechen hat Khedira mindestens die gleiche Anzahl an Reha-Einheiten absolviert wie Max Mustermann in 18 Monaten Kreuzbandriss-Reha. Offensichtlich ist auch die Qualität des Reha-Programms von Bedeutung, wobei das wieder mit dem obigen Punkt der Arztwahl zusammenhängt.

Zu guter Letzt ist die Schnelle des Comebacks eine Frage der Risikobereitschaft. Die Prognosen eines Arztes sind von Haus aus konservativ. Schließlich fällt eine erneute Verletzung letzlich auf den Arzt zurück, wenn dieser die Freigabe gegeben hat. Daher gibt ein normaler Arzt auch nur dann die Freigabe, wenn er sich 100% sicher ist. Im Profisport ist es ein wenig anders. Ein Mannschaftsarzt trägt nicht die gleichen Risiken. Die Entscheidung zu starten oder zu spielen trägt letztlich der Athlet und die Einschätzung des Arztes ist nur ein Argument in der Abwägung.

badstuberGenau so war es auch bei meiner Operation. Ich hatte 11 Monate bevor ich wieder im Wettkampf mit voller Kraft Speer werfen musste. Die normale Regenerationszeit war mit 12-18 Monaten veranschlagt. Die Reha verlief wirklich gut. Natürlich hatte auch ich die Auf und Abs, die einem teilweise schlaflose Nächte bringen, aber am Ende war ich weit genug um wieder im Wettkampf zu werfen. Bei der letzten Kontrolle beim Arzt, befand auch er, dass ich bereit bin, aber wies mich eben auf das „Restrisiko“ hin. Meine Geschichte sollte gut ausgehen und ich habe in meinem ersten Wettkampf zurück fast Bestleistung geworfen. Aber im Hinblick auf die „Wunderheilungen“ im Spitzensport, ist das Restrisiko, dass die Sportler eingehen, ein wichtiger Aspekt. Khedira hat es zu einem gewissen Prozentsatz riskiert, sich erneut zu verletzten, um bei der WM mitspielen zu können. Man kann nur munkeln, wie hoch das Risiko war: 10%, 25%, 50%? Wie auch immer die Zahlen sind, einen Teil des beschleunigten Comebacks erkauft man sich dadurch seine Karriere aufs Spiel zu setzen.

Wenn man all diese Mittel zusammenfügt, hat man die Chance auf ein unglaublich schnelles Comeback, eine „Wunderheilung“. Aber es ist nie eine sichere Nummer und es kann auch schnell nach hinten losgehen, wie zum Beispiel der Fall Badstuber zeigt. Doch egal wie die individuelle Situation aussieht, eine OP ist immer ein großer Einschnitt ins Training. Aber wer diese drei Punkte beachtet, hatte gute Aussichten auf eine baldige Rückkehr zur wahren Leidenschaft, dem Leistungssport!

Ziemlich beste Feinde – Von wegen Runner’s High!

Die Chronik meiner Laufkarriere hat alles, was die ganz großen Läufer ausmacht: Schon sehr früh gut gewesen, direkt das erste Rennen gewonnen, mit einem guten Kick als Meisterschaftsläufer bewiesen und auf dem Höhepunkt aufgehört. Sie haben noch nie von mir gehört? Und das, obwohl Sie die Großen wie Baumann und Schumann kennen? Ich habe auch keine wirklich plausible Erklärung dafür. Eine wage Internettheorie besagt, dass es darandieter-baumann-1992-514 liegt, dass meine Läuferkarriere ein Straßenlauf war. Mit 8 Jahren. Äußert wage, wie gesagt. Meine Kritiker behaupten immer wieder, dass ich ein One-Hit wonder gewesen sei, das nie mehr an seine Jugenderfolge anknüpfen konnte und schließlich aufgegeben hat. Diesen Laien habe ich immer wieder entgegnet, dass die Entscheidung damals aus einem vollkommen offensichtlichen Grund gefallen ist: Ich wurde nicht zum Läufer geboren, so viel steht mal fest.

Im Laufe der Jahre habe ich viele Versuche unternommen in der Lauferei Fuß zu fassen. Mein Körper hat mir dann mit Nachdruck klargemacht, dass wir zwei auf diesem Gebiet nichts zu suchen haben. Insbesondere in der kritischen Phase zwischen 13 und 17, wenn der Hormonumschwung nochmal neue Potentiale eröffnet, hat sich mein Körper gedacht, Belastungsasthma ist doch was Feines. Damit wäre auf jeden Fall sichergestellt, dass ich nach dem ersten Tempolauf und 15min Dauerlauf fertig bin (Also fertig im Sinne von „nach Luft japsend auf dem Boden liegen“). Es ist unschwer zu erkennen, dass ich schon immer äerschoepfung-die-sich-lohntußert positive Emotionen und Erfahrungen mit dem Laufen verbinde. Für die meisten wäre spätestens nach dem 10. Anfall klar gewesen, dass die Talente wohl bei anderen Sportarten liegen müssen und hätten gewechselt. Mir war das natürlich auch klar, aber mein Talent ist die Vielseitigkeit und damit der Mehrkampf, und der hat leider auch Laufdisziplinen.

„Verbesserungen im Laufbereich brauchen Zeit und ich muss nur dranbleiben“ ist eine der typischen Reaktionen, die ich bekomme, wenn ich über meine ausgeprägte Laufleidenschaft rede. Das Argument an sich ist plausibel. Bestimmt haben viele von euch schonmal über die 10 000 Stunden-Regel gehört, die besagt, dass man bei gegebenem Talent 10 000 Stunden Erfahrung in einer gewissen Tätigkeit sammeln muss, um ein wahrer Meister zu werden. Also habe ich diesen Herbst einen letzten Anlauf genommen der Lauferei doch noch Herr zu werden. Jeden Tag, in 30°+ eine Einheit mit Laufen: Intervallläufe, Treppenläufe, Bergläufe, Diagonalen und Geraden, Laufzirckel und Dauerläufe. Ich habe teilweise ganze Wochenenden durchgeschlafen, um am nächsten Montag zumindest wieder halbwegs restauriert auf dem Platz zu stehen. 12 Wochen lang, aufgeben gilt nicht, es musste doch irgendwie zu schaffen sein… Wollt ihr wissen, was passiert, wenn man die 10 000 Stunden macht, aber keine Talent dafür hat? Sehr wenig ist die Antwort. Die ersten 2-3 Wochen sieht man noch einen gewissen Gewöhnungseffekt, aber der letzte Lauf in der 12. Woche is genauso qualvoll wie der erste in der 4. Woche. Quod era demonstrandum!

Eine gute Beschreibungrunning sucks für meine Beziehung zum Laufen ist die von alten verbitterten Eheleuten. Ich kann nicht ohne, weil ich sonst auf den 400m und 1500m den Heldentod sterbe, aber jede Interaktion ist die reinste Qual. Ich hätte gerne ein T-shirt auf dem „Running Sucks“ steht, nur um damit meine Läufe machen zu können. Ich hätte gerne eine Maschine in der Menschen genau das fühlen, was ich beim letzten Intervalllauf fühle. Weg wären die ganzen Toughmudder, Hindernisläufe und Marathons als Grenzerfahrung. Wer das „Johannes Hock 6x300m“-Programm durchsteht, der darf sich wirklich als harter Hund sehen. Gerade all den Leichtfußgazellen da draußen, für die Laufen so einfach ist wie Autofahren für Vettel, würde das mal gehörig die Augen öffnen.

huskyNicht jeder ist zum Läufer geboren oder sollte Laufen, auch wenn Laufen immer als der natürliche Sport schlechthin verkauft wird. Wer dafür einen Beweis braucht, stelle sich nur mal an Kilometer 30 irgendeines Marathons und warte, bis die Elite vorbei ist. Die Meute an Bürohengsten in den Mittvierzigern, die danach kommt, ist Anschauungsmaterial genug.

Und ja, es gibt durchaus Momente, in denen ich mit Neid auf die Läufer blicke, die scheinbar mühelos dahinschweben, während ich Berg von Mann mich wie ein Gletscher über die Bahn schiebe. In diesen Momenten wünsche ich mir einmal dieses Gefühl der Mühelosigkeit zu haben, das berühmte „Runner’s high“. Allerdings mehr so, wie man mal eine bestimmte Achterbahn fahren will, mal einen Fallschirmsprung machen will. Die meiste Zeit ist es aber Unverständnis, mit der ich aufs Laufen blicke, weil Talent hier eben fast alles ist. Mir ist es lieber mein Schicksal selbst in der Hand zu halten. Ich will meines eigenen Glückes Schmied sein. Und zumindest im Hinblick auf das Laufen, habe ich jahrelang mit dem Hammer draufgeschlagen, aber das Eisen ist offenbar kalt.

Trotzdem muss ich auch sagen, dass meine wahrscheinlich triumphalsten Momente mit dem Laufen zu tun haben. Wenn es beim Zehnkampf in die letzte Disziplin geht und der Wettkampf knapp ist, ist der wahre Kriegsschauplatz nicht auf der Bahn. Der wahre Kampf ist KopNCAA Championf gegen Körper – Mind over Matter heißt es so schön. Für mich heißt das aber noch viel mehr. Es heißt ich gegen meine Schwächen, ich gegen „kann nicht“ und „geht nicht“. Es heißt sehenden Auges ins offene Messer zu laufen. Es geht letztlich darum etwas zu tun, was man nicht kann! Wenn man aber genau das dann schafft und mit Bestzeit im Ziel zusammensackt, ist das fast schon eine religiöse Erfahrung. Eine Erfahrung, die ein talentierter Läufer nie so haben wird; eine Erfahrung, die ich in meinen starken Disziplinen nie haben werde, denn wo immer man Fortschritt sieht, sind auch neue Höhen keine komplette Überraschung. Die wirklich großen Siege, sind die Siege über die eigenen Schwächen!

Und so drehe ich Woche für Woche wieder meine Runden, sehe aus wie das Leiden Christi und fühle mich auch so, verdamme jeden einzelnen Schritt und den Witzbold, der die 400m und 1500m in den Zehnkampf gebracht hat. Manchmal sehe ich  Licht am Ende des Tunnels, nur um ein paar Tage später wieder keuchend von der Realität eingeholt zu werden. Ich probiere andere Läufe, andere Strecken, andere Pausen, nur um am Bear_Wrestling_by_jameson9101322Ende doch wieder zum Ergebnis zu kommen, dass Laufen doch immer Laufen bleibt. Mal kann ich mit den andern Jungs mithalten, nur um später herauszufinden, dass alle krank waren. Mal deuten die Zeiten den Beginn einer neuen Ära an und dann war das Hütchen 10 Meter zu kurz gestanden. Aber jede Woche aufs Neue treffe ich mich mit meinem inneren Dämon und dann wird die nächste Runde eingeleitet in einem ewigen Kampf, der meistens unentschieden ausgeht.

 

PS: Ach ja, und mit 45 laufe ich dann wahrscheinlich einen Marathon…